„Ihr seid Hopers“ – das ist Teil der Widmung unseres neuen Romans „Wasteland“. „Wasteland“ ist Science-Fiction. Oder nicht? Wenn es 45 Jahre in der Zukunft spielt, gilt das dann als SF? Near Future? Ist es eine Dystopie?
Klar, alles davon. Christian und ich bezeichnen es auch gern als „Mad Max“-Utopie, auch wenn sich das als Genre vermutlich nie so richtig durchsetzen wird. Und außerdem … ist „Wasteland“ ein Hopepunk-Roman.
Oh Mann, schon wieder was mit -punk?
Ja. Punk’s not dead, nicht einmal in der Post-Apokalypse. Und bei Hopepunk ist das „nicht tot sein“ Teil des Konzepts. Als Subgenre oder Kategorie wurde Hopepunk 2017 von der Autorin Alexandra Rowland erfunden – sie schrieb auf Tumblr: „The opposite of grimdark is hopepunk. Pass it on.“
Was meint sie damit?
Zuerst einmal gehört Hopepunk keinem Genre an – es ist nicht inhärent Fantasy oder Science-Fiction. Deshalb wird es auch nie Regale voller Hopepunk in den Buchhandlungen geben. Es ist eher das Mindset, das einer Erzählung zugrunde liegt, und letztlich gibt es laut Rowland sogar eine Lebensphilosophie her. Aber dazu später.
Die Geschichten unserer Kindheit und Jugend sind oft von strahlenden Held*innen und eindeutigen Aufgaben geprägt. Wenn man den Held*innen dieser Geschichten ein Glas zeigen würde, das bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, würden sie sagen: „Das Glas ist halb voll!“
In den letzten Jahren und Jahrzehnten betraten wir eine neue Art der Fiktion: Schmuddelige, abgerissene, moralisch fragwürdige (Anti-)Held*innen im ewigen Kampf mit sich selbst sollten uns damit vertraut machen, dass Menschen an sich fragwürdig sind, dass allen etwas Dunkles inne liegt und dass Heldentaten nur kurz gegen die uns umgebende Entropie helfen oder sich sogar in ihr Gegenteil verkehren können. Auch in diesen Geschichten gibt es Hoffnung und Wandel, keine Frage. Aber wenn man ihren Held*innen das Glas zeigen würde, würden sie sagen: „Das Glas ist halb leer.“
Hopepunk sagt: „Im Glas ist Wasser, um das ich kämpfen werde.“
Punk ist gegen das System
Dabei ist das „Punk“ nicht einfach eine zu vernachlässigende, hippe Nachsilbe. Sowohl im Cyberpunk als auch im Steampunk geht es im besten Fall auch um das Aufbegehren gegen ein System – gegen Turbokapitalismus im einen und gegen starres, viktorianisch-kaiserliches Patriarchat im anderen.
Hopepunk kämpft für eine bessere Zukunft, für Freiheit zum Aktivismus, für radikale Güte. Das geht nur anti-autoritär. Nicht für eine persönliche Agenda, sondern gegen Unterdrückung.
Damit spricht Hopepunk auch vielen aktuellen aktivistischen Strömungen aus dem Herzen: Feminismus macht den gemeinsamen Nenner der Unterdrückung sichtbar in einem System, das auf der Ausbeutung vieler für die Privilegien weniger basiert.
Toxxers und Hopers
Bei „Wasteland“ ist unser System untergegangen, und auf den Ruinen leben hierarchisch geordnete Gangs und anarchistisch zusammenlebende Gemeinschaften. Letztere nennen sich selbst Hopers – und die anderen Toxxers. Und wer bei „toxisch“ direkt an toxische Männlichkeit denkt, liegt nicht ganz verkehrt: Die Hopers versuchen, ein Leben zu führen, in dem sie radikal freundlich sind, radikal gütig. Das ist auch ein Kernelement des Hopepunks, und viele wollen dem entnehmen, dass es nur um sanfte, gütige, freundliche Geschichten gehen könne. Dass es um Self-Care geht und um Wärme. Das kann es, natürlich. Aber radikale Güte, radical kindness, versucht, Pazifismus, Gewaltfreiheit, Protest und Füreinander-Einstehen zu verbinden – aber radikale Güte ist nicht radikal pazifistisch, radikal gewaltfrei: Der Schulterschluss mit Unterdrückten und Marginalisierten, das Aufhalten von Unrecht und Gewalt steht an erster Stelle; möglicherweise auch mit Gegengewalt.
In dem, was Rowland beim Hopepunk als „Lebensphilosophie“ bezeichnet, geht es nicht darum, in allem perfekt zu sein. Sich selbst einzugestehen, dass man nicht bereits der perfekte Mensch mit den perfekten Einstellungen ist, dass man von Privilegien und einem ungerechten System profitiert, dass man an sich arbeiten muss, dass es nie zu Ende ist und dass wir, nachdem uns bewusst wird, dass wir einen Fehler gemacht haben, versuchen, ihn kein zweites Mal zu machen.
Hopepunk ist also verdammt viel Arbeit, aber das ist Veränderung ja immer. Der Status Quo ist bequem, aber eben nicht für alle. Dabei geht es nicht einmal um Utopia! Die Utopie kann als Zustand nie für eine längere Zeit erreicht werden, weil Menschen einfach nicht hundertprozentig „gut“ sind und weil Systeme des Zusammenlebens nie nicht von Unrecht und ungleichen Verhältnissen profitieren.
Unsere Welt ist turbokapitalistisch und zynisch, es gibt keine einfache Lösung für die Klimakatastrophe und die komplizierten Lösungen werden hinausgezögert. Menschen ertrinken vor den Mauern einer Europa-Festung und unsere soziale Marktwirtschaft hat Lieblingskinder und Kellerkinder. Wie wollen wir in einer Welt, die so aggressive Linien zieht zwischen denen, die ihr etwas wert sind, und jenen, die ihr wertlos scheinen, aufeinander achtgeben? „Güte ist ein politischer Akt“, sagt Alexandra Rowland. „Ein Akt der Rebellion.“ Und manchmal ist das Freundlichste, was man für jemanden tun kann, sich mit ihm gegen seine Unterdrücker zu verbünden, und dazu braucht man Mut und Wut.
Und wir müssen Geschichten erzählen, denn wir brauchen Geschichten, die das widerspiegeln. Wir brauchen hoffnungsvolle Geschichten, mit denen wir klar machen: Freundlich zu sein, bedeutet nicht, schwach zu sein oder wehrlos. Aber es ist ein radikaler Akt, denn es ist so viel einfacher, ein Monster zu sein.
„The world has always been on fire. We have always been monstrous to each other.“
Es scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein, die Welt zu verändern. Wenn Utopia nie erreicht werden kann, wenn es das Happy End nicht gibt – wie machen wir mit diesem Wissen weiter?
In Geschichten, aber auch in unserem alltäglichen Leben? Wie immer: Wir stehen morgens auf und tun einen Schritt nach dem anderen. Nicht jeder davon wird uns nach vorn führen, manche werden uns auch leidtun oder in die Irre führen, aber wir müssen jeden Schritt gehen, um in Bewegung zu bleiben. Beißt die Zähne zusammen, macht weiter, teilt euren Schmerz miteinander, auch eure Verzweiflung, eure Traurigkeit. Weigert euch, aufzugeben.
Weigert euch zu sterben.
Wozu dann diesen Weg gehen? Wozu diesen Kampf kämpfen?
Um des Kampfes willen. Nicht, weil er ruhmreich ist oder eine legendäre Tat. Es geht darum, dass es immer ein Morgen geben wird, auf das wir hinarbeiten, und im besten Fall ist dieses Morgen besser als das Heute, weil wir unser Bestes dafür getan haben. Nicht nur ich. Nicht nur du. Nicht nur die eine Protagonistin unserer Geschichte: Veränderung ist eine Teamanstrengung, und mit wir meine ich alle, die mitmachen wollen. Die längst mitmachen. Die nur noch nicht wussten, dass sie Hopepunks sind.
Wir brauchen hoffnungsvolle Geschichten. Wir brauchen neue Vokabeln.
Hopepunk ist eine davon.
Lest dazu auch Alexandra Rowlands Hopepunk-Manifest „One Atom of Justice, One Molecule of Mercy, and the Empire of Unsheathed Knives“ und Alessandra Reß‘ Übersicht über das Genre bei TOR Online
Und wenn ihr unseren Social Media-Countdown auf „Wasteland“ verpasst habt, findet ihr hier noch mal ein Best of!
- Ein Text über queere Gemeinschaften in der Postapokalypse auf Queer*Welten!
- Unser VOGTalk zum Thema Near Future.
- Eine Kurzlesung auf YouTube.
- Ein Interview auf TOR Online „Wie lebt es sich zwischen Ruinen?“
- Ein Werkstattbericht zu gendergerechter Sprache auf TOR Online.
- Eine Spotify-Playlist!
- Und eine Menge Bilder mit Postapokalypsen-Stimmung und freundlicher Genehmigung von fotogenen Freund*innen auf Judiths Instagram-Account!
P.S.: Übrigens sind auch „Die 13 Gezeichneten“ Hopepunk. Ihr werdet sehen.